Freitag, 23. Oktober 2015
Ich habe Angst
Kann Europa die Probleme des Nahen Ostens und Afrikas lösen, indem es alle die aufnimmt, die die Tortur des langen Weges auf sich nehmen und bei uns Asyl beantragen? Kann ein Europa oder Deutschland, das wegen unzureichender oder nicht vorhandener Strukturen relativ schnell an den Punkt der Unzulänglichkeit auf vielen Gebieten kommt, als bröckelndes und unfähiges Gebilde die Erwartungen der Herandrängenden erfüllen? Ich weiß nicht, ab welchem Prozentsatz an Flüchtlingen das Scheitern Europas unausweichlich ist, aber in der momentanen Situation wird dieses Scheitern sehr schnell sichtbar werden. Viel zu lange haben die Regierungen dem sich ankündigenden Völkerstrom zugeschaut, so als ob sie gar nicht wüssten, was sich da zusammenbraut. Manchmal denke ich, dass man Vogel-Strauß-Politik betrieben hat und jetzt beim Heben des Kopfes entsetzt feststellt, dass diese Menschen von „da unten“ auf einmal – wie von Geisterhand – vor unseren Grenzen stehen.
Man tut überrascht und man wirkt überrascht. Einfach abscheulich, dass nur eines jetzt sofort zu funktionieren scheint, während man an anderen Dingen kläglich herumdoktert und immer nach Schuldigen Ausschau hält. Ja, wir werden Transall-Flugzeuge zur schnellen Rückführung der „geduldeten“ Asylanten einsetzen – ohne diese vorzuwarnen. Klar, das sind genau die Richtigen! Sie werden ohne Prüfung ihrer Integration wie Arbeitsplatz z.B. aus Deutschland ausgewiesen. Holt man sie bei Nacht? Kommt da die Polizei? Werden sie freiwillig gehen? Seltsame Bilder formen sich in meinem Kopf...
Es ist nicht logisch, es ist nicht einzusehen, warum der erste Schritt in der Flüchtlingsfrage mit der Abschiebung von geduldeten Asylanten beginnt. Warum sind diese Menschen „geduldet“? Offensichtlich sprach etwas für ihren Verbleib, warum will man sie jetzt vertreiben?
Es ist nicht logisch, es ist nicht einzusehen, dass man immer noch keine funktionierenden Strukturen geschaffen hat, um einigermaßen mit den Menschen, die hier ankommen, umzugehen. Ich beobachte seit Monaten die Situation genau. Wie zynisch muss man sein, wenn man ungerührt zuschaut, wie viele, viele Freiwillige an den Grenzen den Flüchtlingen Nahrung anbieten, den Kindern Spielzeug geben und mit ihrem Lächeln die Erschöpften aufmuntern. Reiches Deutschland? Dass ich nicht lache. Die kleinen Leute kümmern sich, die Politiker und die Reichen reden, reden, drohen, planen Abschiebung, Sammellager .... Die Politik erlaubt sich das perverse Ansinnen, Zwangsenteignungen vorzunehmen, weil sie es versäumt hat und immer noch unfähig ist, Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Wie viele kleine Fertighäuser wären wohl in der Zeit möglich gewesen, in der man jetzt schon plant, was mal getan werden müsste?
Das politische Deutschland und das Deutschland der Wirtschaft sind nicht bereit, sie schotten sich ab, sie überlassen den kleinen Leuten das Feld. Die „Arme“ der Leute sind aber kurz, sie haben keinen Einfluss auf Verwaltung und Politik, sie haben kein Geld. Wie lange können die Leute die Aufgaben der Politik erledigen? Es gibt keine Strukturen, jeder ist Einzelkämpfer, das wird auf die Dauer nicht funktionieren und damit ist das Scheitern vorprogrammiert.
Wenn die Politik keinen Finger krümmt und dies zulässt, haben wir durch alle Parteien hindurch die falschen Leute gewählt. Wenn die Politik und Justiz nicht reagieren, wenn Pegida-Anhänger indiskutable Schmähreden führen, offene Drohungen ausstoßen, abscheuliche Szenarien zitieren, dann sind diese Politiker die falschen.
Wie lange wird es noch dauern, bis die kleinen Leute – und wir sind die Mehrheit in diesem Land – auf die Straße gehen und für die Flüchtlinge Handlung der Regierung einfordern?
Wann schämen wir uns genug, um die Tatenlosigkeit der Regierung nicht mehr unkommentiert hinzunehmen?
Wir sollten uns mal darüber unterhalten.
Ich habe Angst, nicht vor dem Flüchtlingsstrom, sondern vor der Unfähigkeit und dem mangelnden Willen unserer Politiker, die damit den Falschen im Lande die Straße überlassen. Wir sollten gegensteuern – massenhaft.
21.10.2015

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